Seit 75 Jahren lässt der Arbeitskreis Musik in der Jugend Menschen über die Musik kommunizieren, baut Brücken, sorgt für Völkerverständigung und für „Selbsthilfe bei der kulturellen Selbstfindung“, wie der Ehrenvorsitzende Dr. Karl Ermert es formuliert. Das 75-jährige Bestehen wird vom 8. bis zum 10. Juli mit einer Geburtstagsparty zum mitmachen in der Lessingstadt gefeiert. „In Zukunft wollen wir in Wolfenbüttel wieder stärker präsent sein. Wir sehen es als unsere Pflicht, dass hier in der Region musikalische Begegnung stattfindet und gefördert wird“, so Hannes Piening, Generalsekretär des Arbeitskreises gegenüber dem Schaufenster.
Der AMJ fördert und vermittelt bei der musikalischen Bildung für Kinder und Jugendliche, Erwachsene und ganze Familien. Im Vordergrund steht dabei auch die Völkerverständigung durch die gemeinsame Sprache der Musik, internationale Chorbegegnungen und Bildungsreisen. „Gemeinschaft entsteht dort, wo Menschen miteinander Musik machen“, ist Generalsekretär Piening überzeugt. Unter diesem Grundsatz entstand auch das Jubiläumsprogramm des AMJ.
Der AMJ-Glückwunschchor gründet sich zum 75. Geburtstag für alle interessierten Menschen, die Lust aufs Singen haben. Unter der Leitung von Jan Schumacher findet ein Wochenendworkshop statt. Krönender Abschluss ist ein Familienkonzert am 10. Juli in der Lindenhalle – gesungen wird alles von bekannten Klassikern bis hin zu echten Raritäten.
Ebenfalls eingeladen zu einem Sonderkursus sind am Jubiläumswochenende die Streicher der Region, die die Ergebnisse ihrer Arbeit dann in der Lindenhalle präsentieren. „Vor der Jubiläumswoche wollen wir außerdem mit den Kindern in Wolfenbüttels Kindertagesstätten und Kitas gemeinsam singen und etwas erarbeiten. Das soll dann auch beim großen Familienkonzert am Sonntag aufgeführt werden“, freut sich Piening.
Bereits am Samstag findet um 17 Uhr ein Jubiläumskonzert im Lessingtheater mit anschließender Geburtstagsfeier in der Landesmusikakademie statt. Die Skowronki Girls aus Pozna bilden mit dem Mädchenchor der Ulmer Spatzen den musikalischen Rahmen des Festkonzerts. Aufgeführt werden Ergebnis aus der Deutsch-Polnischen Mädchenchorbegegnung. Abgerundet wird der Geburtstag am Samstag mit einer Klangmeile in der Innenstadt.
Dass der bundesweit, inzwischen sogar international tätige Arbeitskreis seine Wahlheimat in Wolfenbüttel gefunden hat, sei dem Engagement eines alteingesessenen Unternehmens zu verdanken. Generalsekretär Hannes Piening und der Ehrenvorsitzende Dr. Karl Ermert blicken zurück auf 75 Jahre musikalische Völkerverständigung, deren bewegte Geschichte 1947 in der Hansestadt Hamburg begann. „In der Geschichte des AMJ gab es immer wieder Krisen – häufig, weil das Geld fehlte“, erklärt der Ehrenvorsitzende. Der Möseler Musikverlag in Wolfenbüttel habe dem Verein dann geholfen. „Sie waren so freundlich, uns ein Quartier anzubieten und eine halbe Personalstelle. Eine Frau, die sonst im Verlag arbeitete, übernahm die Geschäftsführung.“ 1978 zog der Arbeitskreis so in die Villa am Grünen Platz ein. Dort hat sie bis heute ihre Geschäftsstelle.
„In Wolfenbüttel kennt man den AMJ vor allem als wunderbaren Veranstalter des absolut großartigen Eurotreffs“, lacht Ermert. Ursprünglich unter anderem Namen tingelte dieses internationale Treffen junger Chöre aus ganz Europa durch die ganze Bundesrepublik. Seit 1989 findet es alle zwei Jahre in Wolfenbüttel statt. „Schwerpunkt ist meistens der Osten Europas. 2019 hatten wir sogar einen Chor aus Katar hier“, erinnert sich Ermert. Piening meint: „Das ist einer der großen Erfolge, die der AMJ auf seiner Seite hat: das Zusammenbringen unterschiedlicher Kulturen über Musik. Wir sind Gründungsmitglied von Europa Kantert, daraus hat sich der europäische Chorverband gegründet.“
„Entstanden ist der AMJ eigentlich, weil musizieren einfach Spaß macht!“, stellt Ermert klar. Dass es immer wieder auch politisch wurde, war dem Zeitgeist geschuldet. „Man ist durch die internationale Vernetzung auch in der Friedenspolitik verankert“, hebt Piening hervor und erzählt: „1978 kam zu den festlichen Tagen der Musik in Arnsberg – ein Vorläufer des Eurotreffs – erstmals ein israelischer Chor nach Deutschland. Das war eine hochpolitische Veranstaltung, es gab rege Diskussionen.“ „Da ist Bundeskanzler Schmidt noch aufgelaufen und hat ein Grußwort gehalten! Israel hat Deutschland ja zu dem Zeitpunkt mit der Kneifzange nicht angefasst“, ordnet Ermert die Angelegenheit ein und ergänzt: „Deutschland hat auch einen Chor nach Israel geschickt. Das war absolut nicht selbstverständlich, dass wir das überhaupt dürfen!“
Nach den wilden 70ern und einem festen Sitz in der Lessingstadt Wolfenbüttel wurde 1989 der „Eurotreff“ als fester Bestandteil der Wolfenbütteler Kulturlandschaft etabliert – das ist er bis heute. „In der Zwischenzeit gab es viele Projekte, auch rund um die Frage: ‚Was singen Chöre überhaupt?‘“, erklärt Ermert und fährt fort: „Es gibt ja außer Mozart, Haydn, Bach und Mendelssohn Bartholdy auch noch moderneres, das ist allerdings – gerade bei Kindern und Jugendlichen – häufig von ‚bedrückender Schlichtheit‘“, so der Ehrenvorsitzende kritisch. Deswegen habe man sich jahrelang auch um neue Literatur für Kinder- und Jugendchöre bemüht, die laut Ermert auch „musikalisch etwas anspruchsvoller ist“. Dieses Projekt sei so lange gelaufen, bis das Geld ausging – die neuen Lieder aus dem Projekt seien jedoch noch heute im Umlauf.
Der AMJ lässt sich nach Meinung des Generalsekretärs Hannes Piening in seiner heutigen Form am besten als „musikalischer Gemischtwarenladen für die ganze Familie“ beschreiben: „Du kommst rein, kriegst alles was du willst, und dazu ein nettes Gespräch, eine Beratung und ein persönliches Wort.“ Ermert meint, dass der AMJ vor allem eine Funktion als Berater übernommen hat: „Wenn ein Kinderchor auf einen internationalen Austausch will, ist er hier richtig. In Deutschland gibt es für alles und jedes Förderprogramme – und hier gibt es für alles Menschen mit dem nötigen Know-how. Die wissen, wie alles geht und schreiben die Förderanträge dann auch.“
Für die Zukunft wünsche man sich vor allem, „dass diese Pandemie endlich endet!“, konstatiert Ermert ohne nachzudenken. Dann könne man auch wieder offenes Singen und partiizipative Veranstaltungen durchführen. Piening hat tatsächlich schon konkrete Pläne: „Wir wollen hier in Wolfenbüttel stärker präsent sein als Verein und Verband, als Unterstützer und impulsgebende Organisation.“ Deswegen sei Piening auch wichtig, dass das Jubiläum hier stattfindet und nicht im Gründungsort Hamburg. „Auch, wenn wir unseren größten Landesverband in Hamburg haben“, fügt Piening hinzu.
Ermert merkt an: „Wir haben hier auch eine hervorragende Infrastruktur mit der Landes- und der Bundesakademie.“ Piening nickt: „Richtig. Nicht nur Konzerte mit Sonntagsreden, sondern mitmachen, mitmusizieren, mitsingen. Das ist mir wichtig, dass wir das ausbauen.“ Ansonsten, so sind sich die beiden einig, will man einfach weitermachen wie bisher – mit interkultureller Begegnung, Bildung und musikalischer Völkerverständigung.